Wahlkampf gegen Nazis im Norden
27. August 2011
Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Dann wird auch darüber abgestimmt, welche Zukunft die NPD in der politischen Landschaft bundesweit haben wird und welche Rolle dabei der derzeitige NPD-Fraktionschef Udo Pastörs spielen wird. Die NPD befindet sich in einer Krise – finanziell durch ein riesiges Finanzloch und offene Rückforderungen der Bundestagsverwaltung, organisatorisch durch die vermasselte kalte Fusion mit der DVU und politisch durch die klare Abgrenzung aller demokratischen Parteien von der NPD in und außerhalb des Landtages. Im Vorfeld der Wahl sanken die Prognosen auf drei Prozent. Zwar hat die geschickte Medienstrategie der NPD ihre Werte in Richtung Fünf-Prozent-Hürde steigen lassen, aber womöglich entscheidet sich Erfolg und Misserfolg der NPD erst am 18. September, wenn auf der Insel Rügen wegen der erforderlichen Nachbesetzung des kürzlich verstorbenen CDU-Spitzenkandidaten später gewählt wird und sich so das offizielle Wahlergebnis um zwei Wochen verschiebt.
Schaden wird der NPD auf jedem Fall ihre Gewaltbereitschaft. Bis kurz vor der Wahl waren seit 2010 über 100 Parteibüros demokratischer Parteien überfallen worden. Übergriffe auf Andersdenkende, Migranten und Ausländer werden nicht weniger. Mit der Eröffnung des Wahlkampfes wurde in bekannter Weise das Land komplett mit NPD-Plakaten zugepflastert. Die Plakate der politischen Gegner werden massenhaft von rechten Aktivisten beschädigt oder zerstört. Politische Gegner werden eingeschüchtert, etwa durch den Überfall auf das Auto eines SPD-Wahlhelfers. In der Taktik geht die NPD aber nach dem Muster der Wahlstrategie in Sachsen-Anhalt geschickter vor. Die NPD-Aktivisten wurden umfassend geschult, treten als Zuhörer auf, gehen auf die Bevölkerung zu und loben die positiven Seiten des untergegangenen Sozialstaates DDR. Das kommt besonders in den Plattenbaugebieten gut an. Nicht selten agiert die NPD aber auf leeren Plätzen, wie im Schweriner Plattenbaugebiet Neu-Zippendorf. Hier zeigt sich das Sendungsbewusstsein von NPD-Fraktionschef Pastörs, der 45 Minuten einen nahezu leeren Platz beschallt und nicht müde wird, die verbliebenen drei Gemüsehändler von der Güte des eigenen Konzeptes und der vermeintlichen Unfähigkeit der „Blockparteien“ zu überzeugen. Auch die Wahlmaterialien der NPD sind anders als üblich gestaltet worden. Landesthemen wie die niedrigsten Löhne bundesweit, Schulen und Lehremangel im ländlichen Raum, Ärztemangel und Infrastrukturdefizite dominieren. Aber selbst im Wahlkampf verzichtet die NPD nicht auf die Propagierung ihrer rassistischen Werte, wenn sie die Trennung von Deutschen und Migranten in der Schule fordert und eine Volksgesundheitskasse präferiert, aus der Ausländer und deren Kinder ausgeschlossen werden sollen – eine Art Apartheid-Staat. Mit dem Plakat „Kriminelle Ausländer raus“ begibt sich die NPD auf bekanntes rechtspopulistisches Pflaster. Da die NPD in den Medien keinen Platz bekommt, versucht sie durch Skandale Aufmerksamkeit zu erzeugen. In einer kleinen Ostseestadt kreuzte die NPD beim traditionellen Hafenfest mit eigenem Boot auf. Gleiches geschah auf der Rostocker Hansesail und brachte der NPD mit empörten Artikeln in den Medien landesweite Aufmerksamkeit. In Torgelow nutzte die NPD die Schließung einer traditionsreichen Eisengießerei für eine Protestkundgebung gegen Arbeitsplatzverluste. Doch die NPD agiert, anders als vor fünf Jahren, nicht mehr unwidersprochen. In Torgelow solidarisierten sich die Landtagskandidaten aller demokratischen Parteien über Parteidifferenzen hinweg mit den betroffenen Arbeitern. In Schwerin wurden fünf NPD-Stände innerhalb von drei Tagen durch Proteste eines Netzwerkes gegen Nazis gestört und ein NPD-Stand verhindert. In Stralsund führte der Protest von Antifaschisten zum Abbruch eines NPD-Standes mit Holger Apfel, dessen Abzug samt NPD-Tross auf YouTube eingestellt wurde. Unzählige Initiativen haben im Land zu einer Stabilisierung demokratischer Strukturen geführt. In Stralsund,wo Nazis noch vor wenigen Jahren das Sagen hatten, entwickelt sich erfolgreich eine alternative Gegenkultur. Zum fünften Mal fand in diesem Jahr dort ein Konzert gegen Nazis statt, das von einem breiten Bündnis getragen wird. Eigebettet war „Rock gegen rechts“ diesmal in eine Woche gegen Rechtsextremismus, in der auch die Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ in der Stralsunder Volkshochschule gezeigt wurde. Landesweit wurde die Wahlzeitung der VVN-Bad 200.000 Mal verteilt, die zur Wahl demokratischer Kandidaten aufruft und über die NPD aufklärt. Noch vor dem Wahlabend wird jeder Haushalt in Mecklenburg-Vorpommern mit insgesamt 800.000 Exemplaren einer Zeitung der Landesinitiative „Wir. Erfolg braucht Vielfalt“ versorgt werden, die flächendeckend zur Wahl Aufruft und sich zu Vielfalt und Toleranz im Land bekennt. Über 1.000 Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Verbänden und Kommunen bekennen sich öffentlich als Unterstützer der Kampagne und haben die Finanzierung der Landesaktion ohne Rückgriff auf öffentliche Gelder gesichert. Damit werben auch regionale Unternehmen und der Supermarkt vor der Tür der Nazis in Vorpommern für eine offene und tolerante Gesellschaft. Dafür gesorgt haben auch die Gewerkschaften, die den Unternehmerverband, sonst Gegenpart im Tarifstreit, im öffentlichen Eintreten für Demokratie und Toleranz mit ins Boot
genommen haben. Beim Konzert „Laut gegen rechts“ der Wir-Initiative des Landes werden in Schwerin zwei Tage vor der Wahl
erneut zehntausende Besucher erwartet, die auch aus anderen Teilen des Landes mit Bussen anreisen sollen. Unabhängig davon
wie die Wahl für die NPD im nördlichsten Bundesland ausgeht – die Nazis treffen hier trotz regionaler Verankerung und nach wie vor hoher Mobilisierungsfähigkeit landesweit auf Widerstand, Gegenaktionen und auf gestärkte, handlungsfähige demokratischen Strukturen, wie es sie 2006 in dieser Form noch nicht in gab.